Menschliche Führung gewinnt!

Führung im Wandel – wirklich menschliche Führung macht den Unterschied

«Wenn du ein Leader sein willst, musst du zuerst Mensch werden.»

Chinesisches Sprichwort

Wir leben in der Tat in besonderen wenn nicht ausserordentlichen Zeiten. Die aktuelle weltweite Krise in Gesundheit, Wirtschaft und letztlich auch unserer ganzen Gesellschaft bringt neben akuten Problemen auch ans Licht, wie unsere Welt funktioniert.

Mit der Krise, aber auch mit den parallel dazu stattfindenden Entwicklungen der Digitalisierung, Automatisierung und neuen Technologien akzentuiert sich unter anderem auch die Frage, wie wir heute wirtschaften, wie wir die Wirtschaft organisieren und damit auch die darin tätigen Organisationen und Unternehmen.

Neue Ansätze und Modelle, auch Führungsmodelle, werden rege diskutiert und an verschiedenen Stellen ausprobiert. Es werden Fragen gestellt wie etwa «hat hierarchische Führung, haben hierarchische Organisationen ausgedient, gibt es bald keine Chefs mehr?» oder «Was verändert sich in der Führung von Menschen neuerer Generationen aufgrund ihrer anderen Bedürfnisse» oder «was muss sich verändern durch die Digitalisierung?» und viele mehr.

Alles ist im Wandel, alles im Fluss. Und doch, in den vielen Begegnungen, welche ich bei meiner Arbeit als Führungsexperte, als Leadership Dozent, Trainer und als Executive Coach habe, werde ich manchmal auch gefragt, was sich denn eventuell nicht ändere. Neben der Annahme, dass diese Frage auch indirekt ein gewisses Bedürfnis nach Stabilität zum Ausdruck bringt, ist sie durchaus berechtigt. 

Meine knappe Antwort lautet jeweils: Mensch bleibt Mensch.

Mensch bleibt Mensch

Tatsache ist, dass wir Menschen neben unserer positiv zu sehenden Einzigartigkeit sehr vieles gemeinsam haben durch die Bedingung des Mensch-Seins. Dazu gehört etwa die Hilflosigkeit, mit der wir geboren werden und die uns im Leben mehr als uns lieb ist, begleitet. Dies aller Bemühungen von sogenannt «heldenhaft» auftretenden Top Managern zum Trotz. Auch diese sind jederzeit auf unzählige andere Menschen, deren Toleranz, deren Mitarbeit trotz erschwerten Bedingungen angewiesen, um ihren Erfolg präsentieren zu können.

Wir sind ohne Ausnahme auch alle mit unserer Endlichkeit konfrontiert und können daran nichts ändern. Gerade das wird uns in der Aktualität klar vor Augen geführt. 

Wir haben unsere guten und schönen Momente im Leben wie auch die schmerzhaften und schwierigen. Wir kämpfen alle mit uns limitierenden Gewohnheiten oder Verhaltensmustern, welche oft uns selber sowie andere vor Herausforderungen in der Zusammenarbeit stellen. Und noch vieles mehr.

Menschliche Führung heisst in erster Linie, diese grundmenschlichen Tatsachen gegenseitig zu akzeptieren und einzugestehen. Dann kann sich gerade auch im Unternehmensalltag ein tieferes Gefühl von Verbundenheit einstellen, welches einiges erleichtert, welches die aktuellen Probleme in einen grösseren Kontext stellt oder unnötige Missverständnisse klärt. Wenn wir mit anderen – etwa aufgrund unterschiedlicher Interessen – in Konflikt geraten, können wir einen gemeinsamen Boden finden für tragbare Lösungen, auf der Basis einer menschlichen Grundhaltung.

Ja, ich bin überzeugt, dass menschliche Führung und menschliches Agieren mehr denn je gefragt sind, wenn ich schaue, was mir Führungspersonen über ihren Arbeitsalltag erzählen. Dieser ist voller Missverständnisse, Vertrauensprobleme, zwischenmenschlichen Komplikationen mit Mitarbeitenden und eigenen Chefs, zudem voller Herausforderungen für die so ersehnte produktive Zusammenarbeit. 

Wir Menschen haben uns allen gemeinsame Potentiale, die unterschätzt und zu wenig genutzt werden. Dazu gehören etwa das Bewusstsein persönliche Haltungen entwickeln, verändern und anpassen zu können, positive Beziehungen aufbauen und führen zu können, Achtsamkeit zu praktizieren, sowie die natürlichen Talente und positiven Antriebe des eigenen Handelns zu entdecken und konsequent zu leben.

Die Frage ist, wie bewusst wir in Unternehmungen diese Potentiale zur Entfaltung bringen. Viele Führungspersonen möchten das, sind jedoch nicht bereit dazu das Notwendige zu tun.

Wir sollten jedoch nicht nur die Sonnenseiten unseres Menschseins betrachten, sondern auch die Schattenseiten. Wir alle haben unsere Geschichte mit emotional gespeicherten guten und schmerzhaften Erfahrungen. Die letzteren prägen uns im Arbeitsalltag viel mehr als uns lieb ist. Viele negieren diese und projizieren ihre eigenen Themen und Verhaltens-oder Reaktionsmuster auf ihre Aussenwelt. Die anderen sind dann stets das Problem, sicher nicht sie selber. 

Wie viele Führungspersonen habe ich schon erlebt, die dadurch sogar ihre Karriere auf das Spiel setzten, weil ihr egozentrisches Verhalten als Stolperstein für höhere Aufgaben identifiziert wurde. Wie viele kommen an ihre Grenzen der Wirksamkeit durch nicht reflektierte eigene blinde Flecken. Das ist schade. 

Menschliche Führung berücksichtigt sowohl die guten Seiten unseres Lebens wie auch die verborgenen und schwierigen. Sie akzeptiert, dass die Auseinandersetzung mit menschlichen Möglichkeiten, Grenzen und Herausforderungen Teil der Führungsaufgabe ist, im eigenen Interesse und stets bei sich selbst beginnend.

Was spricht dagegen?

Führungspersonen können verschiedene Einwände haben zu dieser Philosophie, die auf menschlichen Grundprinzipien basiert.

Sie können sagen – und einige wagen das auch -, dass das alles nicht wirklich ihre Aufgabe sei, weil sie ihren Auftrag zuerst erfüllen müssten. Welchen denn und mit wem? Es geht ja nicht darum, den Kernauftrag, den Zweck, welchen jede Organisation oder jede Einheit zu erfüllen hat in Frage zu stellen. Es geht eher darum zu überlegen wie man diesen für alle zufriedenstellend und erfolgreich ausführt und erledigt. Da zeigt sich, dass Organisationen und Führungspersonen, welche die Menschen wirklich in den Mittelpunkt setzen und sich um sie, um ihre Potentiale sowie ihre Limitierungen kümmern, über die Zeit viel effektiver sind.

Sie können sagen – auch das höre ich ab und zu -, dass sie doch keine Psychologen sind und das auch gar nicht können. Viele Beispiele von äusserst erfolgreichen Unternehmern zeigen jedoch, dass das so nicht stimmt. Diese haben kein Psychologiestudium absolviert, sondern entschieden, sich mit sich selber auseinanderzusetzen und durch stetige Selbstreflexion aus den eigenen teilweise auch schwierigen Erfahrungen zu lernen, wie Menschen funktionieren. Das reicht durchaus, wenn die Absicht dazu kommt, andere Menschen zu fördern, zu fordern und ihnen zu ermöglichen, in ihrem Element zu sein und sich weiter zu entwickeln. 

Sie können auch sagen, dass das alles erst dann kommt, wenn das Wichtigste erledigt ist, menschliche Führung im Sinne des «nice to have». Diese Überlegung kommt allerdings von einem fundamentalen zu hinterfragenden Paradigma. Sie geht davon aus, dass zuerst die «Arbeit» kommt und erst dann die Bedürfnisse der Mitarbeiter. Wirklich erfolgreiche und zukunftsorientierte Unternehmen und deren Exponenten kehren das um. Zuerst kommt die Absicht, das Beste für die Mitarbeitenden zu tun im Vertrauen, dass die Arbeit dann am besten erledigt wird. Evidenzbasierte Erfahrungen von solchen Beispielen belegen das.

Dass es am Ende um eine Begegnung auf Augenhöhe geht, bei welcher eine für beide Seiten zufriedenstellende Vereinbarung steht, versteht sich für mich von selbst. Sonst stimmt etwas nicht. Dazu gehören offene und auf Vertrauen basierende Erwartungsklärungen, in der Annahme, dass der Sinn des gemeinsamen Tuns nicht hinterfragt werden muss. 

Menschliche Führung funktioniert

So hat beispielsweise Bob Chapman, der CEO von Barry Wehmiller, als Unternehmensmotto und Leitlinie definiert: «Wir messen uns daran, wie wir das Leben anderer Menschen berühren.»

Das tönt für viele etwas seltsam, bringt die menschliche Führung in seinen Unternehmen jedoch auf den Punkt. Wer sich ernsthaft um das Wohl anderer kümmert, kann darauf vertrauen, dass sie absolut ihr Bestes geben, gegenüber ihren Arbeitskollegen, ihren Chefs wie auch gegenüber ihren Kunden. Die Folge ist Erfolg der gleichsam er-folgt.

Ein anderes Beispiel stellt der in den Medien bereits bekannte deutsche Unternehmer Bodo Janssen, CEO von Uppstahlsboom, dar. Er hat nach eingehender Einkehr und Selbstreflexion entdeckt, dass seine Aufgabe die ist «andere Menschen glücklich zu machen». Das heisst in seinem Fall, Bedingungen zu schaffen, unter welchen Mitarbeitende höchst zufrieden sind. Seine menschenorientierte Philosophie hat er so im Unternehmen verankert, dass die Mitarbeiterzufriedenheit sowie die Weiterempfehlungsrate von Gästen Höchstwerte erreicht haben. Die Umsätze haben sich dann in drei Jahren verdoppelt.

Das zukunftsfähige Paradigma lautet demzufolge: Fokus auf den Menschen, Vertrauen was folgt. Tönt für manche etwas naiv, ist aber deswegen nicht weniger wahr. 

Es ist hier zu bemerken, dass menschliche Führung nicht alleine den Erfolg ausmacht. Ein sinnvolles und erfolgversprechendes Business Modell und eine nützliche Strategie müssen natürlich ebenso vorausgesetzt werden wie die notwendige fachliche Kompetenz aller Mitarbeitenden. 

Menschliche Führung macht dann allerdings den Unterschied, weil sowohl Effektivität wie auch Potentiale der Mitarbeitenden sowie der ganzen Organisation deutlich gesteigert werden können.

Ebenso ist anzunehmen, dass gerade heute, wo die gängigen Organisationsformen und Führungsansätze zu Recht teilweise in ihrer Effektivität hinterfragt werden, menschliche Führung den gemeinsamen Nenner für alle verschiedenen Ansätze darstellt, seien diese hierarchisch, agil oder ganz selbstorganisiert. Bei letzterem wird die Menschenorientierung sogar zur Bedingung des Gelingens.

Viele Unternehmen sagen oder behaupten heute, dass sie den Menschen ins Zentrum setzen. Ganz wenige meinen es wirklich ernst und noch weniger setzen es konsequent um. Das liegt bestimmt auch daran, dass die Etablierung von menschlichem Führen und Agieren, von menschenorientierten Kulturen äusserst anspruchsvoll ist und viel Geduld, Mut und Konsequenz erfordert. 

Jedoch könnte man am Ende auch die Frage stellen, was denn überhaupt die Alternative zu menschlichem Führen und Agieren, zu menschenorientierten Unternehmen sein könnte. Dann wird klar, dass es kaum eine Frage ist, ob Unternehmen und Organisationen den Menschen ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken sollten, sondern eher, wie stark und wie konsequent das geschehen soll und wie weit sie bereit sind dahin zu investieren.Was braucht es?
Es ist offensichtlich, dass diejenigen Unternehmen oder Organisationen, welche den Weg menschlicher Führung und Unternehmenskultur gehen wollen auch in die Persönlichkeitsentwicklung ihrer Mitarbeitenden und Führenden investieren müssen. 
Man kann nicht – wie oft immer noch etwas naiv geglaubt wird – mit kurzen Seminaren oder Einmalaktionen menschliche Prinzipien etablieren. Dies eben auch deshalb, weil Menschen als Individuen wie auch als Kollektive mit eingespielten Gewohnheiten zu kämpfen haben. Auf der individuellen Ebene sollten Unternehmen vermehrt Persönlichkeitsentwicklungs-prozesse über längere Zeit begleiten lassen. Denn, Entwicklung kann nicht verordnet und geplant werden, nur Räume und Gelegenheiten, bei welchen diese stattfinden kann. Das braucht Geduld, ein heute rares Gut. Selbstführung und Selbstreflexion sollten regelmässig zum Thema werden für alle, damit auch neue Erfahrungen jeweils integriert und bewertet werden können. Menschliche Führung ist kein Managementtool, sondern eine grundsätzliche Ausrichtung, welche ernsthaft behandelt werden muss, sonst ist sie zum Scheitern verurteilt.

Menschliche Führung in Organisationen entfaltet Sinn für alle Beteiligten an sich und wird so zum Schlüssel für eine gelingende gemeinsame Zukunft in unserer Welt. 
Unternehmerinnen, Entscheidungsträger, Managerinnen, Führungspersonen sowie verantwortliche Menschen sollen dazu angeregt werden, menschliches Agieren in ihren Berufsalltag zu bringen und so alle Beteiligten zu „Gewinnern“ zu machen. Mehr zum Buch und Bestellmöglichkeiten auf https://leadingpower.ch/human-leadership/

Dr. Claude Heini, Autor, ist etablierter Leadershipexperte in der Schweiz wie im deutschen Sprachraum.